Russischer Angriff auf die Ukraine: Nato-Länder beraten in Dringlichkeitssitzung


Vertreter der 30 Nato-Länder haben in Brüssel auf einer Dringlichkeitssitzung über den russischen Angriff auf die Ukraine beraten. Laut Nato-Angaben will Generalsekretär Jens Stoltenberg nach dem Botschaftertreffen um 12 Uhr eine Pressekonferenz abhalten. Stoltenberg hatte den »rücksichtslosen und unprovozierten Angriff« Russlands scharf verurteilt. Die Militärallianz werde alles tun, um ihre Mitglieder zu schützen, betonte der Norweger.
Fünf östliche Nato-Länder forderten laut der Nachrichtenagentur AFP, Artikel 4 des Bündnisvertrags zu aktivieren. Dieser sieht Konsultationen vor, wenn ein Alliierter seine Sicherheit und seine Gebietshoheit bedroht sieht. Dazu zählen laut Diplomaten Polen, Rumänien und die drei Baltenstaaten Estland, Lettland und Litauen.
»Die russische Militäraggression gegen die Souveränität, das Volk und die Demokratie der Ukraine ist völlig inakzeptabel«, schrieb Lettlands Regierungschef Krišjānis Kariņšauf Twitter. »Wir rufen zur Aufnahme von Konsultationen nach Nato-Artikel 4 auf«.
Stoltenberg beriet zudem mit US-Außenminister Antony Blinken und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, wie das Außenministerium in Washington mitteilte. Dabei sei es um eine »koordinierte Antwort« der Nato auf die russische Invasion gegangen.
Thema war demnach auch die Sicherheit des Nato-Gebiets, insbesondere der Ostflanke des Militärbündnisses. Die Allianz hatte ihre Truppen sowie die Luft- und Seestreitkräfte zuletzt verstärkt. Zudem ist die Nato-Krisenreaktionstruppe Nato Response Force (NRF) mit rund 40.000 Soldaten bereits seit Wochen in erhöhter Bereitschaft.
Als Konsequenz aus der Krise mit Russland möchte die Nato ihre Präsenz im Osten dauerhaft ausbauen. Dafür sind neue Battlegroups im Gespräch. Nach dem Baltikum und Polen könnten sie erstmals auch im Südosten Europas eingesetzt werden. Am konkretesten fortgeschritten sind die Pläne für Rumänien, das eine mehr als 600 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine hat. Dort könnte es eine neue Gefechtseinheit mit rund tausend US-Soldaten unter französischem Kommando geben.
Blinken erklärte, dass die USA »eisern« hinter Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrags stünden, demzufolge alle Partner einem angegriffenen Nato-Mitglied beispringen müssen. Die Ukraine gehört dem Militärbündnis nicht an. Vor Kriegsbeginn hatten die Nato-Staaten erklärt, im Fall eines Angriffs nicht selbst militärisch eingreifen zu wollen.
Die Ukraine forderte zudem das Nato-Mitglied Türkei auf, den Bosporus und die Dardanellen für russische Schiffe zu schließen. Die Dardanellen verbinden das Ägäische Meer mit dem Marmarameer und über den anschließenden Bosporus mit dem Schwarzen Meer. Über die beiden Meerengen verläuft ein wichtiger Schifffahrtsweg. Die Türkei ist Nato-Mitglied und hat im Schwarzen Meer eine Seegrenze mit den Anrainerstaaten Ukraine und Russland. Gemäß einem Vertrag von 1936 hat die Türkei die Kontrolle über die Meerenge und kann die Passage von Kriegsschiffen während eines Krieges oder im Fall einer Bedrohung einschränken.
Die Nato will sich eigenen Angaben zufolge eng mit der EU abstimmen, die für Donnerstagabend einen Krisengipfel in Brüssel einberufen hat. Am Nachmittag wollte Stoltenberg mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über eine Antwort auf das russische Vorgehen beraten. Die EU will umgehend verschärfte Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängen. Ursula von der Leyen spricht von »massiven und gezielten« Sanktionen. Die baltischen Staaten riefen dazu auf, Russland auch vom internationalen Zahlungssystem Swift abzuschneiden. Dieser Schritt war vorher kontrovers diskutiert worden.
Der russische Angriff auf die Ukraine hatte in der Nacht auf Donnerstag begonnen. Der Angriff gilt offenbar dem gesamten Land, Russland attackiert an mehreren Flanken. Die Streitkräfte des Kreml haben dabei nach eigenen Angaben die Luftabwehr der Ukraine »komplett unschädlich« gemacht. Auch die prorussischen Separatisten der selbst ernannten Volksrepubliken haben sich dem Angriff angeschlossen. Nach Angaben ukrainischer Grenzschützer dringen zudem erste russischen Bodentruppen und Panzer ins Land vor.
Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, teilte mit, Explosionen seien in vielen ukrainischen Städten zu hören gewesen. Russland habe die Infrastruktur des Landes sowie Grenzposten angegriffen. Er rief das Kriegsrecht aus. Das Innenministerium meldete, Raketen seien auf Militärflughäfen, Depots, in mehreren Großstädten sowie in Grenzregionen eingeschlagen. Auch die Hauptstadt sei mit Marschflugkörpern und ballistischen Raketen angegriffen worden, es soll dort erste Opfer geben. Nach Angaben Kiews hat Russland auch militärisches Gerät von der annektierten Krim in das Land transportiert.