Berlinale: Timothée Chalamet spielt Bob Dylan

Manchmal fallen die Dinge bei einem Kinofestival auf wunderbare Weise zusammen: Todd Haynes, der aktuelle Jury-Präsident der Berlinale, hat einen viel beachteten Film über Bob Dylan gedreht. Er hieß „I’m Not There“ (2007) und hatte einen überraschenden Ansatz: Christian Bale, Richard Gere, Heath Ledger, Cate Blanchett und noch ein paar andere schlüpften in die Rolle von Bob Dylan. Der Musiker als multiple Persönlichkeit.
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Und wie gefällt es Haynes, dass sein US-Regiekollege James Mangold mit „Like A Complete Unknown“ nun noch ein weiteren Dylan drauflegt? „Da ist Platz für viele Dylans“, sagte Haynes in Berlin und lächelte.
Nach diesem ganz jungen Dylan-Darsteller hat sich die Berlinale gesehnt: Gespielt wird er von dem für den Oscar nominierten Timothée Chalamet. Der Schauspieler nahm sich am Freitag trotz seiner PR-Verpflichtungen in Hollywood die Zeit für eine Stippvisite in die schneematschige deutsche Hauptstadt. Seinen Film vertrat der 29-Jährige im Alleingang. Nicht einmal Regisseur Mangold war mit ihm angereist.
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Aber Chalamet war ja auch derjenige, auf den alle gewartet hatten: Er ist zurzeit gefragt wie kaum ein anderer Schauspieler. Angeblich weilte er bereits am Donnerstagabend in Berlin und ging mit Promi-Freundin Kylie Jenner plus zehn Bodyguards zum Essen. Was bedeuten würde: Er hat die Festivaleröffnung geschwänzt.
Zu seiner eigenen Pressekonferenz am Nachmittag kam Chalamet eine halbe Stunde zu spät, bekleidet in einer lässigen Trainingsjacke mit gelb-schwarzem Bienen-Muster und voller Bewunderung für den echten Bob Dylan. Nur auf den ersten Blick wirkte er schüchtern bei den zahlreichen politischen Fragen, die auf ihn einprasselten. Die Botschaft, die er von dem Establishment-Skeptiker Dylan gelernt hat: „Vorsicht vor jeglicher Retterfigur. Traut keinem, der vorgibt, die Lösung zu wissen.“
Für Chalamet war es in den vergangenen Jahren wohl nicht ganz leicht, den anschwellenden globalen Starruhm zu verkraften: „Was ich erlebt habe, ist mir geschehen und nicht aus mir heraus passiert.“ Er sei nicht der beste Schauspieler, aber derjenige, der am härtesten arbeitet.
Gitarrenunterricht für Chalamet
Auf seine Filmrolle hatte sich Chalamet intensiv vorbereitet. Wegen Corona-Pandemie und Hollywood-Schauspielstreik hatte er viel Zeit. Er nahm über Jahre Gesangs- und Gitarrenunterricht und übte sich im Mundharmonikaspiel.
Regisseur Mangold stellt vor allem eine Frage: Wie wurde Bob Dylan, wer er ist? Ein junger Mann trampt Anfang der sechziger Jahre nach New York. Der schmächtige 19-Jährige hat nicht viel mehr als eine Gitarre im Gepäck, eine Kippe im Mund und eine Sonnenbrille im Gesicht.
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Inniges Duett: Joan Baez (Monica Barbaro) und Bob Dylan (Timothée Chalamet) in "Like A Complete Unknown".
Quelle: Disney
Geradezu unbeirrbar führt Dylans Weg durch kleine New Yorker Clubs zum Starruhm. Die allseits angehimmelte Joan Baez (Monica Barbaro) nimmt ihn in Schlepptau, sowohl musikalisch als auch amourös.
Was Dylan aber mehr noch als die Frauen liebt, ist seine Musik. Immer und überall experimentiert er auf seiner Gitarre. Legt er sie mal aus der Hand, kritzelt er auf Notizblöcken neue Texte.
Sozial schwer kompatibler Dylan
Hier wird die Entwicklung einer Karriere vorgeführt, die wie selbstverständlich zu Hits wie „Blowin' in the Wind“, „The Times They Are A-Changin‘“, „A Hard Rain’s a-Gonna Fall“ und selbstredend zu „Like a Rolling Stone“ führt (aus letzterem ist der Filmtitel entnommen).
Man kann sich dem rätselhaften Dylan also auch ganz rätselfrei in einem mit viel Detailliebe ausgestattetem Historienfilm nähern. Im Hintergrund droht die Kuba-Krise, Matin Luther King hat einen Traum in Washington (Dylan singt), wenig später wird Präsident John F. Kennedy ermordet.
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Chalamets Dylan ist das, was Musiker in Spielfilmen oft sind: selbstverliebt und sozial schwer kompatibel. Die Tarnung mit der Sonnenbrille reicht bald nicht mehr. Am liebsten würde er seiner eigenen Haut entkommen.
Den Ausbruch aus seinem bisherigen Musikerleben plant er mit drastischen Mitteln: Aus dem Folk-Puristen häutet sich der Rock-’n‘-Roll-Musiker. Mit dieser Wandlung geht er 1965 ausgerechnet beim Newport Folk Festival auf Konfrontationskurs: Bob Dylan wird elektrisch und bringt die auf Akustikgitarre abonnierte Stammkundschaft zur wütenen Raserei. Danach fährt Dylan im Film auf seinem Motorrad davon. Von seinem schweren Unfall im Juli 1966 sehen wir nichts mehr.
Schon am 27. Februar kommt „Like A Complete Unknown“ in die deutschen Kinos. Einen effektiveren (und kürzeren) Werbeauftritt hätte Hauptdarsteller Chalamet kaum hinlegen können. So eine Show bieten nur große Festivals. Umgekehrt profitiert auch die Berlinale von dem Hype. Echten Hollywood-Glamour hat man hier in den vergangenen Jahren allzu oft vermisst.