SPD, Russland und der Krieg: Wo, bitte, ist hier die Notbremse?


Am Wochenende lieferte sich Melnyk mal wieder so eine Auseinandersetzung. Oder besser gesagt: eine verbale Prügelei. Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte dem Botschafter in einem Gastbeitrag für den SPIEGEL »Verschwörungstheorien« unterstellt. Melnyk keilte zurück: Die »Putin-freundliche Politik« der SPD habe den Krieg gegen die Ukraine herbeigeführt.
Die Sozialdemokraten im harten Clinch mit dem hierzulande obersten Vertreter der Ukraine, mit der man sich doch eigentlich so sehr solidarisiert? Aber nicht doch! Das zumindest ist die Botschaft von Eskens Tweet an diesem Dienstag: Seht her, wir reden noch miteinander, und zwar gut und vernünftig.
Nur: Anders als Esken mit ihrem Foto suggerieren mag, haben sich die beiden Parteichefs zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht mit Melnyk getroffen, jedenfalls nicht nach dem Scharmützel mit Gabriel. Bei dem Bild handelt es sich um eine alte Aufnahme, ein Foto von einer Begegnung Anfang April. Erst am Mittwoch soll zumindest Esken mit Melnyk wieder zusammenkommen, heißt es später aus der SPD.
Esken selbst schreibt von diesen Dingen nichts. Was bleibt, ist Verwirrung, Aufregung, Irritation. Ein erster Versuch, etwas geradezurücken nach all dem öffentlichen Druck der letzten Tage und Wochen: verstolpert.
Schlechtes ImageKommunikativ läuft es nicht gut für die Sozialdemokraten in diesen Kriegszeiten. Die Kanzlerpartei kämpft mit einem miserablen Image: Sie steht da als Bremsklotz, wenn es um einen harten wirtschaftlichen Bruch mit Moskau geht; als zaudernd, wenn die Ukraine Waffen fordert; als widerwillig bei der Aufarbeitung der eigenen gescheiterten Russlandpolitik.
Es brodelt an allen Ecken und Enden.
Beispiel Melnyk: Die aggressiven Attacken des Botschafters, auch gegen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, stoßen etlichen Sozialdemokraten schon lange sauer auf. Doch ein Dilemma haben die Genossen bislang nicht aufgelöst: Nehmen sie jede Kritik hin, auch solche, die undifferenziert ist, lassen sie sich düpieren. Gehen sie zum Gegenangriff über, wie Gabriel, wie Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz, wird es für die SPD noch gefährlicher – dann sind sie die unbelehrbaren Russland-Freunde, die obendrein kein Verständnis für die Ausnahmesituation der Ukrainer haben.
Beispiel Schwesig: Bis vor Kurzem war die gerade erst wiedergewählte Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns einer der Superstars in der SPD. Manche in der Partei sahen Manuela Schwesig gar als künftige Vorsitzende. Doch jetzt sieht sich Schwesig mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Spätestens nach den jüngsten Enthüllungen zu ihrer Rolle beim Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 gilt sie gewissermaßen als oberste Putin-Versteherin in der SPD.
Beispiel Scholz: Die Ukraine fordert von Berlin vehement schwere Waffen, auch die Opposition macht hierzulande Druck. Doch der Kanzler zaudert. Nicht einmal zu einem symbolträchtigen Besuch in Kiew konnte sich Scholz bislang durchringen – im Gegensatz zu Staats- und Regierungschefs anderer Länder. Zuletzt musste sich Scholz sogar von Mitgliedern der Koalitionsfraktionen Führungsschwäche vorhalten lassen. Fragen kamen auf: Kann man so regieren?
Es sind die absoluten Topleute der SPD, die jetzt ernsthaft attackiert oder gar angezählt werden: eine Ministerpräsidentin, der Bundespräsident, der Kanzler. Scholz selbst reagierte jüngst genervt auf die Kritiker. In einem rbb-Interview erklärte er patzig: »Diesen Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was ihr wollt – deshalb führe ich!«
Die Genossen haben sich ihre Schwierigkeiten sicher nicht ausgesucht. Doch sie lassen sie geschehen. Sie haben mit einer auffallenden Passivität dazu beigetragen, dass sich die Lage für sie zuspitzt. Wieder einmal.
In der SPD hat man sich in den vergangenen Wochen mehrfach in eine Eskalation hinein geschwiegen.
Das war im Fall Gerhard Schröder so, als man im Willy-Brandt-Haus viel zu lange glaubte, man könne die Kritik an dessen Lobbyjobs für russische Gaskonzerne einfach aussitzen.
Das war so, als der eigene Kanzler so lange mit Waffenlieferungen an Kiew und harten Sanktionen gegen Moskau wartete, bis Deutschland international als Blockierer galt.
Das war auch jetzt so, als es um neue, weitreichendere Hilfen für die Ukraine ging.
Zweifel an FührungsstärkeFür die Partei ist das durchaus gefährlich. Zweifel an Scholz' Führungsqualitäten machen sich mittlerweile auch in der Bevölkerung breit. In einer aktuellen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Civey für den SPIEGEL halten fast zwei Drittel der Befragten Scholz nicht für führungsstark.
Was tun? Offensichtlich sucht man in der Partei jetzt nach Möglichkeiten, wieder in die Offensive zu gelangen. Am Dienstag meldet sich SPD-Chef Klingbeil via »Bild«-Zeitung zu Wort. Er wendet sich indirekt an jene in der Partei, die sich zuletzt mit Melnyk angelegt haben. Zumindest diesen Ärger will Klingbeil jetzt beenden.
»Unser Fokus liegt auf der Unterstützung der Ukraine«, stellt Klingbeil klar. »Alles andere ist Nebensache und total unnötig.«
Wenig später dann tritt in Berlin der Kanzler nach der Nato-Schalte vor die Presse.
Äußerst fraglich, ob die Aktionen vom Dienstag den Sozialdemokraten jetzt weiterhelfen. Ein anderes Mal nämlich hatte sich Scholz tatsächlich mit einem spektakulären Manöver aus der Defensive herauskatapultiert. Es war kurz nach Beginn des Krieges, als der Kanzler in seiner historischen »Zeitenwende«-Rede im Bundestag eine massive Aufrüstung der Bundeswehr und Waffenlieferungen an die Ukraine ankündigte.
International brachte ihm das höchste Anerkennung, in Deutschland sogar Beifall von der Opposition. Es war ein Momentum für den Kanzler und seine Partei.
Doch das ist längst wieder vorbei.