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Angreifer mit Tarnumhang – warum Pilze so gefährlich sind

Angreifer mit Tarnumhang  warum Pilze so gefährlich sind
Sie bilden Netzwerke, produzieren Medikamente – und immer häufiger machen sie krank. Pilze sind auf dem Vormarsch. Was macht sie so gefährlich?

Auf den ersten Blick sieht die Schale aus, als habe sie jemand im Kühlschrank vergessen. Auf dem Gel hat sich ein weicher, pelziger Belag gebildet – weißlich am Rand, rauchig graugrün in der Mitte. Bei Berührung erhebt sich eine kleine Wolke aus Sporen. Ein Schimmelpilz, aber es ist kein normaler. Aspergillus fumigatus ist einer der gefährlichsten Pilze der Welt.

Und er gedeiht nicht nur hier, im Labor des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena. Die Keime von Aspergillus fumigatus sind in der Luft, im Boden, überall. Jeder atmet sie ein, hundertfach am Tag. In den allermeisten Fällen passiert dann nichts oder die Infektion bleibt lokal beschränkt. Doch bei zwei Millionen Menschen weltweit pro Jahr verläuft es nicht so glimpflich. Bei ihnen wächst das Netzwerk, Myzel, aus fadenförmigen Pilzzellen in den Körper, in andere Organe hinein. Sehr oft endet diese Invasion tödlich.

Ein junger Mann lässt sich im Barbershop frisieren.

Wie werden schwere Infektionen durch Pilze verursacht?

Wie kann es sein, dass ein Erreger einerseits harmlos bleibt – und dann wieder eine so schwer zu bekämpfende Infektion verursacht? Entscheidend ist das Immunsystem. Denn es sind vor allem immungeschwächte Menschen mit schweren Vorerkrankungen, die gefährlichen Pilzen zum Opfer fallen.

Aber wie läuft das ab? Einer der Forscher, die der Antwort auf der Spur sind, steht an diesem Herbstnachmittag in seinem Büro und schaut aus dem Fenster. An den Hängen um den Beutenberg-Campus in Jena hat sich der Wald bunt gefärbt. Auch an der Wand neben dem Fenster hängen bunte Bilder: elektronenmikroskopische Aufnahmen von Aspergillus fumigatus auf den Covern wissenschaftlicher Top-Journale. Sie gehören zu Arbeiten, an denen Axel Brakhage beteiligt war und die Einblicke in die Immunbiologie dieses gefährlichen Pilzes geben. Der Direktor des Instituts forscht seit Jahrzehnten an Pilzen. Heute ist er ein anerkannter Experte für die hochgefährlichen invasiven Pilzinfektionen.

Ein Patient wird in einem Isolierzimmer eines Krankenhauses behandelt.

Hier, am Institut, ist auch das Nationale Referenzzentrum für diese Art von schweren Erkrankungen angesiedelt. Und das Zentrum bekommt immer mehr zu tun. So wie Pilze auf dem Vormarsch sind, die wie der gerade in manchen Barbershops kursierende, ansteckende Pilz Trichophyton tonsurans Hauterkrankungen verursachen, nimmt auch die Zahl der lebensbedrohlichen Pilzerkrankungen zu. In Deutschland und weltweit, denn die Bevölkerungen altern, benötigen mehr Transplantationen oder Krebstherapien – und in vielen Ländern ist die Zahl der HIV-Infizierten hoch.

Hinzu kommt, dass die vier Medikamentenklassen allmählich an Wirkung verlieren. Vor zwei Jahren schlug die Weltgesundheitsorganisation WHO Alarm und stufte vier Pilze als besonders bedrohlich ein. Neben Aspergillus fumigatus sind das der hefeähnliche Cryptococcusneoformans sowie die Hefepilze Candida albicans und Candida auris. Letzterer ist relativ neu – und kann im Gegensatz zu den anderen drei von Mensch zu Mensch übertragen werden.

Pilze bilden ein eigenes Reich

„Ich habe angefangen, an Pilzen zu forschen, weil mich ihre Genetik und ihr Stoffwechsel interessiert haben“, sagt Brakhage. „Pilze sind weder Bakterien noch Pflanzen und gehören auch nicht zu den Tieren.“ Sie bilden ein eigenes Reich von Lebewesen. „Fünf Millionen Arten Pilze etwa gibt es“, so der Mikrobiologe. „Wir kennen davon vielleicht 300.000.“ Nur wenige machen krank. Es gibt Pilze, die in Symbiose mit Bäumen leben. Pilze, die essbare Fruchtkörper wie Champignons bilden. Andere zersetzen Pflanzen. Wieder andere wohnen auf Haut und Schleimhäuten – als Teil des Mikrobioms. „Und Pilze sind in der Lage, eine Fülle von Substanzen herzustellen“, sagt Brakhage. Einige dieser Stoffe seien heute wichtige Medikamente.

Fakt

80 % der Menschen weltweit, die an der schwersten, der invasiven Form der Aspergillose erkranken, sterben daran. Medikamente können das Risiko senken, es gibt aber Resistenzen

Wenn Pilze in der menschlichen Zelle überleben

Im Erbgut von Pilzen schlummern auch Antworten auf die Fragen, warum Gesunde von den vielen Sporen unbehelligt bleiben und warum das Immunsystem bei einer Invasion dann doch unterwandert wird. „Wir haben gezeigt, dass die Sporen von Aspergillus fumigatus und anderen Pilzen eine Art biochemischen Tarnumhang tragen“, so Brakhage. Auf diese Weise werden sie vom Immunsystem nicht sofort erkannt und erstmal toleriert.

Bei Menschen mit einem Immundefekt jedoch können diese Pilze sich länger verstecken, das Immunsystem kann sich nicht mehr richtig zur Wehr setzen. Die jüngere Forschung, dazu hat Brakhage eine Übersichtsarbeit veröffentlicht, zeigt, dass viele krank machende Pilze im Inneren von menschlichen Zellen überleben. Sie nehmen die Sporen auf, um sie abzubauen. Doch verschiedene Mechanismen verhindern den Abbau. So kann eine Pilzinfektion auch unter medikamentöser Behandlung wieder aufflammen, chronisch werden oder eben tödlich sein.

Brakhages nächstes Forschungsziel ist deshalb, Medikamente zu diesen schlummernden Pilzerregern in die Zelle hineinzuschleusen. So treffsicher, dass sie dauerhaft verschwinden – und keine Resistenzen entstehen. „Das wäre ein großer Erfolg.“

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