"Matrix Resurrections": Wie gut ist die Fortsetzung mit Keanu Reeves?

„Folge dem weißen Kaninchen“: Mit dieser Aufforderung aus „Alice im Wunderland“ begann 1999 die Reise des Hobbyhackers Thomas Anderson alias Neo (Keanu Reeves) in eine Welt, in der sich Sein und Schein auf drastische Weise unterschieden – hier das vorgegaukelte Leben in der Matrix und dort die bittere Wirklichkeit, in der die künstliche Intelligenz die Menschheit längst unterworfen hat und in riesigen Silos zur Energiegewinnung auslaugt.
„Matrix“ von den Geschwistern Wachowski wurde der Kultfilm für das hereinbrechende neue Jahrtausend und trieb die Entfesselung der Bilder, welche die Zukunft des Kinos prägen sollte, ganz entscheidend voran. In den zahlreichen Kampfszenen wurden die Gesetze der Physik nach Belieben ausgehebelt, Verfolger vervielfachten sich in freiem Lauf, Hände griffen durch Spiegel hindurch in andere Erzählebenen.

Unter der stets brüchigen Unterhaltungsoberfläche lauerten philosophische Diskurse, in denen Wirklichkeitskonzepte hübsch postmodern dekonstruiert wurden. Die Feuilletons überschlugen sich mit Verweisen auf Plato, Kant, Descartes und Baudrillard. Bis heute gibt es kaum einen Film, in dem intellektuelle Tiefe und actiongeladenes Popcornkino einander derart eng umschlungen haben.
Wenn nun 18 Jahre nach dem letzten Sequel mit „Matrix Resurrections“ eine Reanimation auf die Leinwand kommt, ist die Erwartungshaltung gleichermaßen von Neugier und schlimmsten Befürchtungen bestimmt. Das weiß auch Alleinregisseurin Lana Wachowski und baut den Diskurs praktischerweise gleich mit ein.
Zwischen Fiktion und WirklichkeitIn San Francisco ist Keanu Reeves zu Beginn des Filmes der gefeierte Gamedesigner Thomas Anderson, dessen Videospieltrilogie „Matrix“ vor 18 Jahren die Kassen klingeln ließ und auch heute noch frenetisch verehrt wird. Nun will der Mutterkonzern „Warner“ – der eben jenen Film, den wir gerade sehen, produziert hat – eine Fortsetzung und macht unmissverständlich klar, dass er das Sequel mit dem Designer oder auch ohne ihn machen wird.
Um Schlimmeres zu verhindern, willigt Anderson ein, obwohl er sich immer noch nicht sicher ist, ob das von ihm erfundene Videospiel Produkt seiner kreativen Fantasie oder eine Erinnerung an eigene Erlebnisse ist. Sein Therapeut (Neil Patrick Harris) arbeitet mit dem Patienten geduldig an der Trennung zwischen Fiktion und Wirklichkeit und verschreibt große Mengen an blauen Pillen.
Die Rebellen kommen zur Visite„Matrix“-Zuschauer wissen um die Bedeutung der farbigen Arznei. Damals musste sich Thomas Anderson entscheiden: Nimmt er die blaue Pille, bleibt er in der bequemen Scheinrealität der Matrix. Nimmt er dagegen die rote Pille, lernt er die unbarmherzige Wirklichkeit kennen. Damals siegte der Erkenntnisdrang.

Diesmal ist die Sache schwieriger. Die Rebellen kommen durch ein Portal zur Visite, um den legendären Anführer zu reaktivieren. Das derzeitige Sein ist vielleicht langweilig, aber die Rückkehr in die kriegerische Welt seiner Albträume auch keine attraktive Alternative.
Und dann ist da noch Tiffany (Carrie-Anne Moss), die den Coffeeshop „Simulatte“ betritt. Sie erkennt Thomas nicht wieder, weiß nicht, dass sie eigentlich Trinity heißt, hat drei Kinder und wird von ihrem Mann – unfassbar! – mit „Babe“ angesprochen. Doch als Thomas und Trinity sich die Hand geben, durchdringt die Berührung Vergangenheit und Gegenwart, Zeit und Raum, Realität und Fiktion. Und so entschließt sich Thomas für die rote Pille, in der Hoffnung, Trinity aus der Gefangenschaft der gefälschten Wirklichkeit zu befreien.
Und los geht‘s in alter Manier durch Spiegelportale in verschiedene Erzählebenen, ein noch ausgefeilteres Matrixsystem und eine unterirdische Rebellenstadt, in der Menschen und Maschinen friedlich miteinander leben. Das alles hat einen hohen Erklärungsbedarf, und so wirkt die erste Stunde inhaltlich etwas überfrachtet, setzt aber auch durch augenzwinkernde Selbstreferenzen und zahlreiche Déjà-vus einiges an Humor frei.
Für solide, aber keineswegs innovativ inszenierte Actionsequenzen ist gesorgt, während im philosophischen Subtext die Fesseln der Binärität schnell abgeworfen werden. Wir gegen sie, echt gegen Fake, Mensch gegen Maschine – das Denken in unvereinbaren Gegensätzen ist das Matrix-Gefängnis der Gegenwart.
Lana und Lilly Wachowski, die einmal Andy und Larry hießen und heute als Trans-Frauen leben, haben sich privat aus dem binären Gendersystem befreit und bauen die Erfahrung auf der Leinwand zu einer allgemeingültigeren Horizonterweiterung aus. Das gilt auch für das Gegensatzpaar Action versus Romantik, das im Finale auf offensiv pathetische Weise aufgelöst wird. Mit vereinter Kraft trotzen die Liebenden dem Kugelhagel, wagen den Sprung und fliegen in den Sonnenaufgang davon.
„Matrix Resurrections“, Regie: Lana Wachowski, mit Keanu Reeves, Carrie-Anne Moss, Jessica Henwick, 148 Minuten, FSK 16