Haushalt: Bund plant wegen Ukraine-Krieg mit höheren Schulden – und will Bürger weiter entlasten


Der Bund plant wegen des Ukrainekriegs mit höheren Schulden. Zwar sieht der Haushaltsentwurf für das laufende Jahr weiterhin Schulden in Höhe von rund 100 Milliarden Euro vor, hieß es in Regierungskreisen. Doch dabei wird es nicht bleiben.
So soll der Haushaltsentwurf im weiteren Verfahren um einen Ergänzungshaushalterweitert werden. Dabei wird der in der Beratung befindliche Haushaltsentwurf maßgeblich geändert.
Wie viel Geld zusätzlich für 2022 aufgenommen werden soll, steht noch nicht fest. Die Union rechnet mit neuen Schulden von bis zu 150 Milliarden Euro.
Mit der ungewöhnlichen Maßnahme eines Ergänzungshaushalts will die Bundesregierung sich Zeit und Luft verschaffen, um auf die Folgen des Ukrainekriegs kurzfristig reagieren zu können. Der Haushalt 2022, den das Bundeskabinett am Mittwoch beschließen wird, ist damit am selben Tag quasi schon Makulatur.
So plant die Bundesregierung derzeit weitere Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger als Ausgleich für die stark gestiegenen Energiepreise. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) etwa hat einen Tankrabatt vorgeschlagen, bei dem der Staat Autofahrern einen Teil der höheren Spritpreise rabattiert. Dadurch sollen die Spritpreise wieder auf unter zwei Euro je Liter fallen. Laut Finanz-Staatssekretär Florian Toncar (FDP) würde solch ein Rabatt bei 20 Cent je Liter eine Milliarde Euro im Monat kosten, ein Rabatt von 40 Cent entsprechend doppelt so viel.
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kommt in Berechnungen für das Handelsblatt zu einem ähnlichen Ergebnis. Bei einem Tankrabatt von pauschal 20 Cent dürften die Kosten für den Staat im Jahr 2022 bei rund zwölf Milliarden Euro liegen. Die Ökonomen sind davon ausgegangen, dass sich der Spritverbrauch aus 2021 von 62 Milliarden Liter in diesem Jahr nicht ändert.
Jede Entlastung erhöht die NeuverschuldungNoch sind die Beratungen innerhalb der Ampel über mögliche Entlastungen nicht abgeschlossen. Frühstens am Mittwoch im Bundeskabinett sollen Beschlüsse gefasst werden.
Fest steht allerdings: Jede Entlastung, die die Regierung beschließt, wird die Verschuldung in diesem Jahr erhöhen und die Gesamtverbindlichkeit das dritte Jahr in Folge deutlich über die 100-Milliarden-Euro-Grenze treiben.
Sven-Christian Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, bezeichnete den Entwurf für 2022 daher auch lediglich als „Zwischenergebnis“. Die Neuverschuldung werde wegen weiterer Reaktionen aufgrund des Kriegs und dessen Folgen höher ausfallen als bislang geplant. Erforderlich seien zusätzliche Kredite und eine „Steuerpolitik, bei der starke Schultern mehr tragen“.
Trotz des Ukrainekriegs plant Lindner, die Schuldenbremse wie geplant ab 2023 wieder einzuhalten. Dieser Bundeshaushalt sei „in außergewöhnlichen Zeiten entstanden“, sagte ein Regierungsvertreter. Man stehe vor der „beispiellosen Herausforderung“, mit dem ersten Krieg auf europäischem Boden seit langer Zeit umgehen zu müssen.
Schuldenbremse ließe nur wenig SpielraumDer Bund plant dennoch vorerst mit lediglich 7,5 Milliarden Euro neuen Schulden im nächsten Jahr. In den darauffolgenden Jahren werden es nur unwesentlich mehr sein. Mehr Spielraum lässt die Schuldenbremse nicht zu, diesen schöpft die Bundesregierung voll aus.
Trotz der Vorgaben der Schuldenbremse und der verschiedenen Krisen – auch die Pandemie schlägt weiterhin auf den Haushalte durch – gelinge es, die Bürger zu entlasten, die Investitionen hochzuhalten, mehr Geld für die Klimapolitik bereitzustellen und die Verteidigungs- und Entwicklungsausgaben zu erhöhen, hieß es in Regierungskreisen.
So betragen die Verteidigungsausgaben ab sofort rund 50 Milliarden Euro im Jahr, hinzu kommt das geplante Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro, das nach der russischen Invasion kurzfristig beschlossen wurde und im Grundgesetz verankert werde soll.
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Zusammengenommen erreicht Deutschland damit erstmalig das Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben, das Deutschland 2014 international zugesagt hatte. Noch höhere Forderungen von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) erteilte Lindner allerdings eine Absage. Nach Handelsblatt-Informationen hatte sie sogar Verteidigungsausgaben von rund 75 Milliarden Euro pro Jahr aus dem regulären Haushalt gefordert, plus das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro.
Die gesamtstaatlichen Investitionen betragen laut Finanzplanung ebenfalls pro Jahr rund 50 Milliarden Euro, die Ausgaben für Verkehr machen davon allein 20 Milliarden Euro aus. Gleichzeitig gelang es Lindner sogar noch, in seiner Planung eine bislang bestehende Milliardenlücke für das Jahr 2025 zu schließen.
Das hat verschiedene Gründe: Zum einen sind die Steuereinnahmen zuletzt spürbar gestiegen, der Bund nimmt rund 17 Milliarden Euro mehr ein als noch kürzlich prognostiziert. Des Weiteren konnten die Bundesministerien einige Milliarden Euro nicht ausgeben, weil Engpässe in der Verwaltung bestehen. Auf diese Milliarden kann Lindner ebenfalls zurückgreifen. Zudem sind die Ausgaben für Zinsen deutlich gesunken.
Bund kann auf Rücklagen aus der Flüchtlingskrise zugreifenVor allem aber setzt der Bund in den Jahren 2023 bis 2025 eine Rücklage von 48 Milliarden Euro ein, die noch aus Zeiten der Flüchtlingskrise besteht. Vor allem dank dieser Rücklage gelingt es, die Schuldenbremse einzuhalten.
Dennoch ist der Bundeshaushalt sehr fragil. Nach 2025 muss der Bund ohne die Rücklage auskommen. Und niemand weiß, welche Löcher der Ukrainekrieg noch reißen wird, wie auch Regierungsvertreter einräumen. „Natürlich ist dieser Finanzplan mit Blick auf die außenpolitische Entwicklung, die Energieversorgung und die Entlastungen für Bürger noch vorläufig“, sagte ein Regierungsvertreter.
So könnten etwa die Konjunkturprognosen bald überholt sein. Auch könnten hohe Milliardenkosten auf den Bund zukommen, wenn die Energiepreise weiter steigen oder es zu einem Energie-Lieferstopp aus Russland kommen sollte. Schon jetzt gibt der Bund erstmalig 1,5 Milliarden Euro aus, um die Gasreserven zu erhöhen.
Bund muss ab 2028 Coronaschulden zurückzahlenUnd auch unabhängig vom Ukrainekrieg drohen hohe Mehrausgaben. So sind in der Finanzplanung milliardenteure Reformen der Ampelkoalition noch gar nicht berücksichtigt, etwa die Rentenreform, die Kindergrundsicherung oder Steuerzuschüsse an die Sozialkassen.
Ab 2028 wiederum muss der Bund die Coronaschulden zurückzahlen, die zwischen 2020 und 2022 aufgelaufen sind. Dies sieht die Schuldenbremse so vor. Ab 2028 werden über 30 Jahre lang 11,1 Milliarden Euro pro Jahr fällig.
Für den Bund bedeutet das: Der kleine Spielraum, den die Schuldenbremse noch lässt, ist damit so gut wie weg. De facto wird Deutschland somit über Jahrzehnte den Haushalt ausgeglichen halten müssen, soll die Schuldenbremse eingehalten werden.
Und das, obwohl sich der Bund bei der Rückzahlung der Coronaschulden in der neuen Haushaltsplanung schon deutlich mehr Luft verschafft hat.
Die ursprüngliche Planung sah vor, bereits einige Jahr vor 2028 in die Schuldentilgung einzusteigen und sämtliche Verbindlichkeiten schon bis 2043 wieder zurückzuzahlen. Der Bund hat seinen Tilgungsplan nun aber an die Vorgaben der EU-Kommission angepasst und die Rückzahlung der Schulden großzügiger ausgestaltet.
Opposition kritisiert Lindners PläneDer Entwurf für 2022 und die Eckwerte fürs nächste Jahr halten einem Realitätscheck nach Einschätzung von Christian Haase, haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, nicht stand. „Wer jetzt, da der Haushalt 2022 noch nicht einmal durchs Kabinett beschlossen wurde, schon einen Ergänzungshaushalt ankündigt, der muss sich auch bei den Zahlen für 2023 ehrlich machen“, kritisierte Haase.
Mit Blick auf Lindners Vorhaben, ab 2023 die Schuldenbremse wieder einzuhalten, empfiehlt der Unionspolitiker dem Liberalen, „seine Traumwelt endlich zu verlassen“. „Es wird Zeit, dass die die Regierung endlich die richtigen Prioritäten setzt.“
Auch Grünen-Politiker Kindler bezeichnete Lindners Ziel als „gewagte Prognose“. Es sei „aktuell nicht seriös möglich zu versprechen, im Jahr 2023 wieder die Schuldenbremse einhalten zu können“.
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