Finanzminister Lindner: Der Trickreiche

Stand: 14.03.2022 14:44 Uhr
Christian Lindner ist seit fast 100 Tagen Bundesfinanzminister. Im Wahlkampf pochte er stets auf stabile Finanzen. Seit er im Amt ist, jongliert er regelrecht mit den Milliarden.
Von Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio
Kein Minister der Ampel-Koalition hat im Vorfeld international so viel Aufmerksamkeit bekommen wie Christian Lindner - wenngleich diese Aufmerksamkeit wenig schmeichelhaft war. Zwei bekannte Ökonomen, darunter der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, warnten davor, den FDP-Vorsitzenden zum Finanzminister zu machen.

Um seiner selbst willen sollte Lindner die "unmögliche Aufgabe erspart werden, seine vorsintflutliche haushaltspolitische Agenda auf die finanzielle Situation von heute übertragen zu müssen". Worum ging es? Nun: Lindners Agenda war immer recht einfach und klar gewesen. "Steuererhöhungen sind ausgeschlossen, Aufweichen der Schuldenbremse - das ist auch ausgeschlossen, das sind unsere Leitplanken für Koalitionsgespräche."
Geschmeidig in den SpagatWomit zunächst die Frage offen blieb, wie denn die von der neuen Koalition angestrebten Milliardeninvestitionen in Klimaschutz und Digitalisierung finanziert werden sollten. "Wir haben uns vorgenommen, einen Aufbruch in Deutschland zu finanzieren, dies aber mit Solidität" - ein Spagat, das weiß auch Christian Lindner. Aber er ist eben Politprofi genug, um scheinbar Unmögliches in attraktive Rhetorik zu verwandeln. Beispielsweise nennt er sein Ministerium jetzt "Ermöglichungsministerium".
Was das bedeutet, wird schnell klar. Kaum im Amt, verwandelt Lindner 60 Milliarden Euro Corona-Schulden mit Hilfe eines Nachtragshaushalts in künftige Investitionen: "Der zweite Nachtragshaushalt ist ein Booster für die Volkswirtschaft", erklärt er. Verfassungsrechtlich ist das mit der Umwandlung der Corona-Schulden bedenklich - und in der Opposition hätte die FDP ein solches Vorgehen heftig kritisiert, denn im Grunde wird die Schuldenbremse des Grundgesetzes umgangen.
Was sind schon 60 Milliarden?"Im Zuge der Koalitionsverhandlungen haben wir uns auf dieses Vorgehen verständigt", sagt Lindner. Sprich: Diese Kröte musste Lindners FDP in den Gesprächen mit SPD und Grünen schlucken. Doch inzwischen erscheinen die 60 Milliarden aus dem Nachtragshaushalt fast schon klein. Jetzt geht es um weitere 100 Milliarden - bekanntlich für die Bundeswehr: "Die Schuldenbremse wird im Jahr 2023 - ich sage wie von mir geplant - eingehalten werden. Aus diesem Grund habe ich mit Herrn Scholz den Vorschlag entwickelt, dass wir ein Sondervermögen einrichten."
Sondervermögen? Klingt gut - aber auch hier geht es wieder um Schulden. Trickreich, wie Lindner ist, soll auch diesmal die Schuldenbremse formal nicht angetastet werden. Die Unionsparteien werden mit den Ausgaben für die Bundeswehr gelockt, die murrenden Grünen umgarnt Lindner, der die erneuerbaren Energien jetzt als Freiheitsenergien bezeichnet, mit Milliarden fürs Klima, oder wie Lindner sagt: "200 Milliarden Euro für Transformation von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat".
Eingeständnisse mit IronieWas Lindner nicht dazu sagt: Die 200 Milliarden kommen zum größten Teil aus den bereits eingeplanten Einnahmen aus der CO2-Bepreisung. Zusätzliche Schulden will er dafür nicht machen. So arbeitet Lindner weiter am Spagat der Finanzierung der Ampel-Projekte und der Solidität. Dass das nicht immer FDP pur ist, weiß er - und kontert entsprechende Vorwürfe vor allem aus der Union mit Ironie: "Es ist beklagenswerte Realität, aber auch ich muss sie anerkennen: Die FDP hat bei der Bundestagswahl die absolute Mehrheit verfehlt."
In seinem persönlichen Umfeld allerdings setzt Lindner liberale Akzente: So hat er sich mit dem früheren Wirtschaftsweisen Lars Feld einen Berater geholt, dem Olaf Scholz vor einem Jahr noch die Wiederberufung in den Sachverständigenrat verwehrte.
Mario Kubina, ARD Berlin, 27.1.2022 · 09:28 Uhr