Erster Doppelstern am Schwarzen Loch der Milchstraße

Nah am zentralen Schwarzen Loch unserer Galaxie sind Sterne enormen Anziehungskräften ausgesetzt. Deshalb galt es lange als unwahrscheinlich, dass Doppelsternsysteme in dieser extremen Umgebung entstehen und überdauern können. Jetzt haben Astronomen erstmals ein solches Doppelsternsystem im Umfeld des Schwarzen Lochs Sagittarius A* im Milchstraßenzentrum entdeckt. Das Sternenpaar ist erst rund 2,7 Millionen Jahre alt und umkreist sich relativ eng. Das bewahrt es davor, von den Gezeitenkräften des Schwarzen Lochs auseinander gerissen zu werden, dafür werden beide Sterne schon in rund einer Million Jahren miteinander verschmelzen, wie die Forschenden berichten. Sie vermuten, dass andere staubverhüllte Objekte am Schwarzen Loch ähnliche Sternenpaare während oder kurz nach ihrer Verschmelzung verbergen.
Das Milchstraßenzentrum ist ein extremer Ort: Die enorme Gravitationswirkung des supermassereichen Schwarzen Lochs Sagittarius A* lässt die zentralen Sterne in rasendem Tempo um seine Schwerkraftsenke kreisen. Auch die Bahnen und das Licht dieser Sterne werden durch das nahe Schwarze Loch beeinflusst. Unter diesen Umständen galt es lange als nahezu unmöglich, dass im Milchstraßenzentrum auch neue Sterne gebildet werden. Denn die Gezeitenkräfte von Sagittarius A* müssten die Molekülwolke, aus der Sterne entstehen, auseinanderreißen, bevor sie zum Protostern kollabieren können – so jedenfalls die Annahme. Doch 2023 haben Astronomen gleich mehrere junge Sterne in unmittelbarer Nähe von Sagittarius A* gefunden. Diese Jungsterne sind erst wenige zehntausend Jahre alt und teilweise noch von ihren Staubkokons umgeben, wie ein Team um Florian Peißker von der Universität zu Köln herausfand. Wie diese Jungsterne trotz der enormen Gravitation am Schwarzen Loch entstehen konnten, ist bisher weitgehend ungeklärt.
Junges Sternenpaar am Schwarzen Loch
Jetzt hat das Team um Peißker eine weitere Entdeckung im Milchstraßenzentrum gemacht. Für ihre Studie hatten sie den sogenannten S-Cluster – eine Ansammlung von Sternen und staubigen Objekten nahe Sagittarius A* – mit zwei hochauflösenden Spektrografen am Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte in Chile beobachtet. Dabei stießen sie auf einen Stern, D9 getauft, der sich auffällig verhielt: Die spektrografischen Daten zeigten wiederkehrende Schwankungen in der Geschwindigkeit des Sterns. „Ich dachte, dass ich bei meiner Auswertung einen Fehler gemacht hatte“, sagt Peißker. “Aber das spektroskopische Muster erstreckte sich über etwa 15 Jahre.” Nähere Analysen ergaben, dass es sich bei D9 nicht um einen, sondern um zwei einander umkreisende Sterne handelt. “Damit war klar, dass es sich bei dieser Entdeckung tatsächlich um den ersten im S-Cluster beobachteten Doppelstern handelt”, berichtet Peißker.
Es ist das erste Mal, dass ein Sternpaar in der Nähe eines supermassereichen Schwarzen Lochs gefunden wurde. Wie die Astronomen ermittelten, besteht das Doppelsternsystem aus einem massereicheren, rund 2,8 Sonnenmassen schweren Stern und einem kleineren Partner von nur rund 0,73 Sonnenmassen. „Das D9-System weist deutliche Anzeichen für die Anwesenheit von Gas und Staub um die Sterne herum auf“, erklärt Mitautor Michal Zajaček von der Masaryk-Universität in Tschechien und der Universität zu Köln. “Dies deutet darauf hin, dass es sich um ein sehr junges Sternsystem handeln könnte.” Die Forschenden schätzen das Alter des Doppelsterns auf rund 2,7 Millionen Jahre. Sie vermuten in dem schwereren Stern einen sogenannten Herbig-Ae/Be-Stern. Diese Protosterne sind noch nicht dicht und schwer genug, um die Wasserstoff-Fusion zu zünden, und beziehen ihre Energie aus ihrer Kontraktion nach dem Einfallen großer Mengen von Materie. Typisch für sie ist ein dichter Kokon aus Staub und Gasen. Den kleineren Jungstern klassifizieren sie als T-Tauri-Stern, einer masseärmeren Vorstufe der Herbig-Ae/Be-Sterne.
Verschmelzung in naher Zukunft
Die Entdeckung eines so jungen Doppelsterns belegt, dass sich nahe am supermassereichen Schwarzen Loch nicht nur neue Sterne, sondern sogar Sternenpaare bilden können. Allerdings ist ihre Überlebensdauer begrenzt, wie Peißker und seine Kollegen feststellten. Zurzeit umkreisen sich die beiden jungen Partnersterne im Abstand von rund 1,43 Astronomische Einheiten – das entspricht etwa dem Eineinhalbfachen der Entfernung Sonne-Erde. Dieser für zwei Sterne sehr geringe Abstand bewahrt sie davor, von den Gezeitenkräften des nahen Schwarzen Lochs auseinander gerissen zu werden. Sagittarius A* stört ihre orbitale Balance aber stark genug, um die beiden stellaren Partner einander immer näher zu bringen und zu deformieren, wie die Astronomen erklären. In nur rund einer Million Jahren könnten die beiden Jungsterne dadurch miteinander verschmelzen. „In kosmischen Maßstäben haben wir nur ein kurzes Zeitfenster, um ein solches Doppelsternsystem zu beobachten – und uns ist es gelungen“, sagt Co-Autorin Emma Bordier von der Universität zu Köln.
Diese künftige Entwicklung des neuentdeckten Sternenpaars D9 könnte möglicherweise auch die sogenannten G-Objekte im S-Cluster erklären. Sie verhalten sich wie Sterne, ähneln äußerlich aber Gas- und Staubwolken. Peißker und seine Kollegen vermuten auf Basis ihrer Erkenntnisse zu D9, dass sich in diesen G-Objekten ebenfalls junge Doppelsterne verbergen könnten, die kurz vor ihrer Verschmelzung stehen oder die bereits verschmolzen sind. “D9 könnte ebenfalls bald verschmelzen und dann zu einem G-Objekt werden. Dieses System bietet uns damit einen ersten Einblick in einen der möglichen Entwicklungswege der S-Sterne”, schreiben die Astronomen. Allerdings ist noch immer ungeklärt, wie sich D9 und die anderen Sterne im S-Cluster genau gebildet haben. Mehr Aufschluss könnte unter anderem das Extremely Large Telescope (ELT) liefern, das zurzeit in Chile im Bau ist. Mit ihm werden Astronomen noch detailliertere Beobachtungen des galaktischen Zentrums durchführen können.
Quelle: Florian Peißker (Universität zu Köln) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-024-54748-3
© wissenschaft.de - Nadja Podbregar