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„Game Changer“ zur HIV-Prophylaxe könnte die Epidemie stoppen – nur ist Lenacapavir nicht weltweit verfügbar

Game Changer zur HIVProphylaxe könnte die Epidemie stoppen  nur ist 
Lenacapavir nicht weltweit verfügbar
In einkommensschwachen Regionen soll es Lenacapavir-Generika geben. Osteuropäische Länder mit vielen HIV-Neuinfektionen sind jedoch außen vor.

Lenacapavir, ein lang wirkendes, subkutanes Präparat zur Vorbeugung von HIV-Infektionen, könnte einen entscheidenden Beitrag leisten, um die AIDS-Epidemie zu beenden, falls alle, die davon profitieren, Zugang hätten. Doch gerade in verschiedenen Ländern Osteuropas und Zentralasiens wird Lenacapavir wohl nicht verfügbar sein. Experten kritisieren die Unternehmensstrategie des Herstellers Gilead. 

Daten zur Wirksamkeit von Lenacapavir

Ein Blick auf die Studienlage: In der doppelblinden, randomisierten, kontrollierten Phase-3-Studie PURPOSE 1 waren 100% aller Teilnehmerinnen gegen eine HIV-Infektion geschützt. Die Forscher haben 2.134 Frauen im Alter von 16 bis 25 Jahren aus Südafrika und Uganda in die Verum-Gruppe eingeschlossen. Sie erhielten 2-mal jährlich Lenacapavir als subkutane Injektion.

Bei 2.136 Teilnehmerinnen der Kontrollgruppe, die täglich Emtricitabin-Tenofoviralafenamid oral erhielten, gab es 39 HIV-Infektionen. Und in einer weiteren Kontrollgruppe mit 1.068 Teilnehmerinnen, die täglich Emtricitabin-Tenofovirdisoproxilfumarat oral bekamen, erfasste das Studienteam 16 HIV-Infektionen. 

Laut der PURPOSE 2-Studie bot Lenacapavir Cisgender-Männern, Transgender-Frauen, Transgender-Männern und Personen mit nichtbinärem Geschlecht, die in Argentinien, Brasilien, Mexiko, Peru, Südafrika, Thailand und in den Vereinigten Staaten lebten, nahezu vollständigen Schutz vor HIV-Infektionen. 

Sunlenca (Lenacapavir) ist in den USA und in der EU bereits zur Behandlung von HIV zugelassen. In den USA liegt der Preis für diese Indikation bei 42.250 US-Dollar pro Person und pro Jahr. 

Die subkutane Injektion ist eine Alternative zur Präexpositionsprophylaxe (PrEP) mit Tabletten. Bei oraler PrEP gilt die Therapietreue als kritisch. 

Bald generisches Lenacapavir in 120 Ländern verfügbar 

Im Oktober hat Gilead, der Hersteller von Lenacapavir, eine Vereinbarung unterzeichnet. Künftig haben 6 Unternehmen die Möglichkeit, generisches Lenacapavir in 120 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen die Krankheit häufig auftritt und die über begrenzte finanzielle Ressourcen verfügen, zu produzieren. 

Nur befürchten Arzneimittelexperten, dass das Abkommen einige Risikogebiete nicht berücksichtigt, darunter mehrere Länder in Osteuropa und Zentralasien, im Nahen Osten, in Nordafrika sowie die meisten Länder Lateinamerikas. 41% aller Neuinfektionen ereignen sich in diesen Regionen. Als Befürchtung bleibt, dass sich die Kluft beim Zugang zu medizinischer Versorgung vergrößert und das Ende der AIDS-Epidemie in weite Ferne rückt. 

Dr. Andrew Hill

„In diesen Regionen treten die meisten HIV-Neuinfektionen auf“, sagte Dr. Andrew Hill zu Medscape. Er ist Gastdozent in der Abteilung für Pharmakologie und Therapie an der Universität Liverpool. Laut Arbeiten von Hill kann Lenacapavir für weniger als 100 Dollar pro Patient und pro Jahr hergestellt werden. Das sind 400-mal niedrigere Kosten im Vergleich zum US-Preis.

„Gileads Einschränkungen beim Zugang zu Lenacapavir könnten zur weiteren Ausbreitung von HIV führen. In vielen Ländern mit hoher HIV-Inzidenz wird es für gefährdete Menschen sehr schwierig sein, Lenacapavir zu erschwinglichen Preisen zu bekommen“, sagte er.

Mehr Neuinfektionen in der EECA-Region

Laut UNAIDS-Bericht aus dem Jahr 2024 ist die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Osteuropa und Zentralasien zwischen 2010 und 2023 um 20% auf 140.000 und die Zahl der Todesfälle um 34% auf 44.000 gestiegen. Laut UNAIDS entfallen 27% aller Neuinfektionen auf diese Region. 

Der Anstieg ist zum Teil auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen. Hinzu kommt der intravenöse Drogenkonsum als Risikofaktor für HIV-Infektionen. Auch war die Zahl der Männer, die Sex mit Männern haben und sich mit HIV infiziert hatten, ist im Jahr 2022 in der Region Osteuropa und Zentralasien (EECA) um 144% höher als im Jahr 2010.

Von 2,1 Millionen Menschen mit HIV, welche in der Region leben, wissen nur 59% von ihrer Infektion – und nur 50% werden behandelt. Menschenrechtsverletzungen, Stigmatisierung und Diskriminierung sowie Strafgesetze erschweren den Zugang zu Diagnostik und Therapie. 

Gilead hat nur 11 Länder der EECA-Region beim Abkommen berücksichtigt. Keines davon steht auf einer Prioritätenliste mit 18 Ländern. Auch wurden mehrere Länder mit hoher HIV-Rate in einzelnen Bevölkerungsgruppen, darunter Russland, Serbien und Bulgarien, ausgeschlossen. In Russland werden jedes Jahr über 50.000 neue HIV-Infektionen registriert.

Laut WHO-Daten haben mehrere europäische Länder, darunter Irland, Island, Finnland, Malta und Montenegro, zwar die höchste Zahl an HIV-Diagnosen pro Jahr im letzten Jahrzehnt gemeldet. Die meisten west- und nordeuropäischen Länder fallen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lagen aber nicht unter das neue Abkommen. 

Fehlt es am politischen Willen? 

„In der Region treten nach wie vor etliche HIV-Neuinfektionen auf“, sagt der designierte Präsident der European AIDS Clinical Society, Prof. Dr. Miłosz Parczewski, zu Medscape.

„Einer der Hauptgründe dafür, dass die EECA-Region kaum berücksichtigt wird, ist die politische Stigmatisierung, sprich der Mangel an politischem Willen und der Mangel an Engagement bei der HIV-Bekämpfung“, erklärt Parczewski. So werde die LGBTQI-Community in einigen Ländern immer noch verfolgt. Es gebe auch die Einstellung, HIV sei ausschließlich bei diesen Menschen zu finden. Zudem seien „die fehlende Wahrnehmung, wirtschaftliche Not und Migration Gründe für Neuinfektionen“. 

Parczewski sagt, es bestehe „dringender Bedarf“ an der Ausweitung von Präventionsprogrammen. „Die Ausweitung der PrEP könnte von entscheidender Bedeutung sein, um die HIV-Epidemie zu stoppen“. 

Ob dies gelingt, bleibt abzuwarten. Weltweit haben viele Menschen keinen Zugang zu oraler PrEP. Im Jahr 2023 nutzten ca. 3,5 Millionen Menschen orale PrEP; im Jahr 2025 sollten es ca. 21,2 Millionen Menschen sein. In der gesamten Region gibt es aufgrund zu hoher Kosten, Stigmatisierung und Diskriminierung wenig Zugang zur Prävention. 

Die Finanzierung – eine weitere Herausforderung 

Dr. Debra ten Brink

Dr. Debra ten Brink forscht am Optima Consortium for Decision Science des Burnet Institute in Melbourne, Australien. Sie untersucht kosteneffiziente Strategien im globalen Gesundheitswesen.

Ihrer Einschätzung nach gebe es in der Region 2 finanzielle Herausforderungen. Durch unterschiedliche Prioritäten mancher Regierungen stehe zu wenig Geld für HIV-Präventionsprogramme zur Verfügung, so ten Brink. Gleichzeitig würden viele EECA-Länder finanziell der oberen Mitte zugeordnet, was ihre Möglichkeiten, internationale Mittel zu erhalten, stark einschränke. 

Länder, denen kein generisches Lenacapavir zur Verfügung steht und die nicht für Hilfen des Globalen Fonds in Frage kommen, müssen das Präparat zum normalen Preis erwerben. Bislang hat Gilead noch keine Angaben gemacht, was Lenacapavir zur HIV-Prävention kosten wird. 

Einige Länder könnten sich für die Vergabe einer Zwangslizenz entscheiden, um den Schutz des geistigen Eigentums in diesem Fall außer Kraft zu setzen. Das zeigt, wie schwierig es ist, Preise anhand der wirtschaftlichen Situation eines Landes – und nicht anhand der Zahl an Patienten – zu bemessen. 

Dr. Andriy Klepikov

Dr. Andriy Klepikov, geschäftsführender Direktor der Alliance for Public Health, einer der größten NGOs im Bereich HIV in der Ukraine, sagte zu Medscape, er sei erleichtert, dass die Ukraine in das Abkommen von Gilead einbezogen worden sei. „Lenacapavir ist ein bahnbrechendes Medikament“, so Klepikov. „In meinem Land, der Ukraine, wird es dringend benötigt und wir warten darauf, es einzusetzen.“ 

Dieser Beitrag ist im Original erschienen auf Medscape.com. Im Rahmen des Übersetzungsprozesses nutzt unsere Redaktion gegebenenfalls auch Software zur Textbearbeitung inklusive KI.

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