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"Hoeneß zupft das Laken zurecht": Als Udo Lattek beim FC Bayern ...

Hoeneß zupft das Laken zurecht Als Udo Lattek beim FC Bayern
Udo Lattek war eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Bundesliga-Geschichte. Er selbst bezeichnete sich einmal als den "erfolgreichsten Vereinstrainer der Welt". Und tatsächlich holte er mit dem FC Bayern und in Gladbach Titel um Titel. Heute wär

Udo Lattek war eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Bundesliga-Geschichte. Er selbst bezeichnete sich einmal als den "erfolgreichsten Vereinstrainer der Welt". Und tatsächlich holte er mit dem FC Bayern und in Gladbach Titel um Titel. Heute wäre er 90 Jahre alt geworden.

Aller Anfang ist schwer, das hat auch Udo Lattek erfahren müssen. Obwohl an diesem warmen Sommertag an der Sporthochschule "Theorie und Taktik" auf dem Lehrplan stand, fuhr der junge Udo lieber mit ein paar Freunden ins Schwimmbad. Das Wetter sei einfach zu schön gewesen, sagte er einmal. Später am Tag habe er dann seinen Lehrer getroffen - einen gewissen Hennes Weisweiler. Und der habe ihm tüchtig die Meinung gegeigt, erinnerte sich Lattek später einmal. Da habe er dann eben im Affekt "Leck mich doch am Arsch" gesagt. Sein Temperament sei mit ihm durchgegangen. Weisweiler wäre anschließend nichts anderes übrig geblieben, als ihn rauszuschmeißen. Einige Zeit später stand Lattek dann wieder vor Weisweiler. Dieses Mal zog er seine Fußballlehrer-Ausbildung jedoch engagiert durch. Und nur wenige Jahre danach beerbte Lattek seinen Ziehvater als Coach von Borussia Mönchengladbach.

Es darf also nicht verwundern, dass Paul Breitner seinen damaligen Trainer beim FC Bayern München in "Gifthaferl" umtaufte. Lattek, den sie in Spanien, als er beim FC Barcelona Diego Maradona trainierte, "La Gamba" (Krebs) nannten und der einmal in einer Illustrierten über sich den Satz - "Lattek hat eine rote Birne, als ob eine Peperoni Sonnenbrand hätte" - lesen musste, sagte selbst über seine frühen Trainerjahre: "Da bin ich wie ein HB-Männchen durch die Gegend gesprungen. Du musstest mich nur schief angucken, und ich bin explodiert."

Dauer-Grantler Max Merkel ließ zu dieser Zeit kein gutes Haar am Bayern-Coach: "Lattek oder Pattek, egal. Diese Bayern-Mannschaft mit Franz, Sepp und dem Gerd Müller, die könnte ich auch telefonisch trainieren. Der Müller macht ihm seine Tore, und der Uli Hoeneß zupft das Laken zurecht." Lattek selbst sah das naturgemäß etwas anders. Seine Devise lautete: "Ich bin zu gut, um auf Dauer keinen Erfolg zu haben." Niederlagen waren ihm ein Gräuel: "Wenn ich verliere, fühle ich mich, als wenn ich ein bisschen sterbe." Ein Fußballmagazin-Leser wollte einmal von ihm wissen: "Könnten Sie nicht auch nach einem verlorenen Spiel einmal Ihre grimmige Miene vergessen?" Latteks Antwort war eindeutig: "Wenn Sie einen Riesenhunger haben, und jemand nimmt Ihnen Ihr Butterbrot und die Getränke weg, lachen Sie dann?"

Unheimlicher Einstand beim FC Bayern

Christoph Daum hat später einmal über seinen kongenialen Partner beim 1. FC Köln gemeint: "Du musst den Menschen kennen und dann richtig anpacken. Udo kann das. Er sagt nur ein paar Worte, aber die sitzen. Lattek ist mehr als die Einzeldinge, die wir hier nennen können. Zum Beispiel sein Blick: Der bringt oft mehr als großes Gerede." Lattek wusste um diese besondere "Waffe": "Mir hat mal eine spanische Tänzerin gesagt, dass ich die Augen eines Pumas habe!"

Sein ganz großes Plus war aber stets sein Motivationstalent. Sein Motto für die Spieler: "Ihr müsst Gras fressen und in den Torpfosten beißen." So temperamentvoll, wie er seine Mannschaft anstachelte, so heißblütig reagierte er am Spielfeldrand auch auf die Entscheidungen der Schiedsrichter. Nach einem 3:3 der Bayern in Mannheim tobte Lattek einmal noch lange nach Spielschluss. Im Visier hatte er Schiedsrichter Berthold Schneider aus Püttlingen: "Dem hätte ich am liebsten mit der Fahne einen Scheitel gezogen." Auch Tage später hatte er sich noch nicht beruhigt: "Mancher will einen Scheitel haben und mancher keinen. Der sah so aus, als wenn er einen bräuchte."

Und als Hans Kindermann vom DFB die Aussagen kritisierte, wurde Lattek erst richtig fuchsig: "Der kann mich mal langsam gernhaben. Ich habe nichts getan, nur gedacht. Wenn Herr Kindermann gegen mich etwas unternehmen möchte, dann müssen auch zehn Millionen deutscher Ehemänner angeklagt werden, weil die irgendwann einmal ihre Frauen verprügeln wollten." Zum Glück beruhigte seine eigene Ehefrau die Situation mit einer erfreulichen Aussage: "Ich kenne keinen friedlicheren Menschen als Udo!"

Als Lattek damals der neue Übungsleiter in München wurde, war er richtig guter Dinge. Der ehemalige Assistent des Bundestrainers zeigte sich für seine zukünftige Arbeit sehr optimistisch: "Ich habe an einem 13. geheiratet und führe seit acht Jahren eine glückliche Ehe. Ich habe am Freitag, dem 13., den FC Bayern übernommen und bin sicher, dass diese Ehe auch gut gehen wird." Der Einstand, nur einen Tag später, glückte auf jeden Fall schon einmal. Alemannia Aachen wurde 6:0 geschlagen. Schon nach kurzer Zeit wurde den Bayern-Offiziellen der Erfolg allerdings fast schon unheimlich. Man befürchtete bei den Zuschauern eine Art Spannungsverlust. FCB-Präsident Wilhelm Neudecker meinte halb ernst, halb im Spaß: "Herr Lattek, wollen Sie uns mit den dauernden Siegen das Geschäft kaputt machen?"

"Udo, der Guru"

Die Jahre vergingen. Lattek strich Titel um Titel ein, egal, wo er auch gerade Trainer war. Doch 1987 hatte er plötzlich genug von seinem Beruf. Er wollte nie mehr Trainer sein. Nicht, weil er keine Lust hatte, nein, es hätte mit den Bänken am Spielfeldrand zu tun: "Der Platz ist einfach zu hart für mich geworden." Nach einer Pause wechselte er 1988 zum 1. FC Köln. Als Sportdirektor saß er nun in bequemen Ledersesseln. Dafür musste er länger am Tag arbeiten als zu seiner Zeit als Trainer. Aber auch das brachte Vorteile mit sich: "Meine Frau meinte schon, wir hätten nicht einmal mehr Zeit zum Streiten."

Zum Autor
  • Ben Redelings ist ein Bestseller-Autor und Komödiant aus dem Ruhrgebiet.
  • Sein aktuelles Werk ist "Das neue Buch der Fußballsprüche" mit weit über 10.000 Sprüchen aus der bunten Welt des Fußballs.

  • Mit seinen Fußballprogrammen ist er deutschlandweit unterwegs. Infos & Termine auf www.scudetto.de.

Schon nach acht Spieltagen und einem 3:1-Sieg über die Bayern hieß der neue Sportdirektor Udo Lattek damals nur noch "Udo, der Guru". Einen möglichen Erfolg über seinen ehemaligen Verein, so hatte Lattek einen Tag vorher angekündigt, wolle er tüchtig feiern: "Wenn wir die Bayern schlagen, liege ich morgen schon besoffen vor der 'Sportschau'." Doch mit den Bierchen musste er schließlich erst noch etwas warten - denn Lattek war Studiogast in der ARD-Sendung. Thema war natürlich sein mittlerweile legendärer blauer Pullover, der dem 1. FC Köln eine unglaubliche Serie beschert hatte, wie alle Fußballfans in Deutschland glaubten. In Frankfurt wollte man am 13. Spieltag endlich den ominösen blauen Glückspullover von Kölns Sportdirektor waschen. Deshalb umrundete auch immer wieder eine gesponserte Waschtrommel das Feld. Da das Spiel 1:1 ausging, hielt der Mythos allerdings weitere zwei Wochen.

Aber nach fünfzehn Partien war der berühmte Pulli schließlich bei Werders 2:1-Sieg über Köln fällig. Am Ende schloss Lattek das gute Stück sogar nachts im Tresor ein, aus Angst vor Dieben. Als der Pullover versteigert wurde, erlöste er stolze 36.000 Mark für die Mainzer Kinderkrebshilfe (gekauft hatte ihn die Duftwasser-Firma "4711"). Eine Menge Geld, wiewohl Lattek eigentlich noch mehr wollte. Als ein Fan das kostbare Kleidungsstück einmal bei einem Spiel mit ihm tauschen wollte, sagte der Sportdirektor: "Mein Pullover kostet vier Millionen!" Der Neupreis lag übrigens bei 80 Mark.

Nach einem kurzen Gastspiel als Kolumnist bei einer großen deutschen Sportillustrierten (Monatsgehalt: 50.000 Mark) kehrte Lattek mit 57 Jahren auf den Trainerstuhl zurück. Schalkes "Sonnenkönig" Günter Eichberg hatte ihn überzeugt: "Obwohl ich wirklich mal geglaubt hatte, es wäre vorbei für mich. Doch dann kommt mit der Zeit die Überlegung: Das Einzige, was ich im Fußball machen kann, ist Trainer - und sonst nichts. Ich bin kein Bürositzer, das ist nicht meine Welt. Ich bin ein Berufsidiot. Es wäre fürchterlich, wenn ich wieder als Lehrer in die Schule ginge. Nein, Fußball - und speziell die Bundesliga - ist wie eine Droge."

Lattek und der Alkohol

Und weil Lattek das wusste, malochte er auf Schalke fast für lau, wie Präsident Günter Eichberg bei der Vorstellung des Erfolgscoachs freudestrahlend erklärte. Handschriftlich setzte der Besitzer einiger Krampfadern-Kliniken einen Vertrag auf und verkündete gerührt: "So etwas wie den Udo Lattek habe ich in diesem Fußballgeschäft noch nicht erlebt. Ein wirklich menschlich feiner Typ. Er arbeitet hier in Schalke quasi umsonst."

Und "quasi" war auch das entscheidende Stichwort. Denn Lattek bekam tatsächlich nicht das sonst übliche Monatsgehalt, sondern verschiedene Zahlungen zu bestimmten Anlässen. Erst einmal 100.000 Mark Startgeld, dann 8000 Mark pro Punkt und eine Mark für jede verkaufte Heimspielkarte. Zusätzlich eine Suite im feinen Maritim-Hotel, freies Telefonieren und die Nutzungskosten für den eigenen PKW inklusive. Die Prämie von 1.000.000 Mark für den UEFA-Cup-Platz und 1.500.000 Mark Erfolgshonorar für einen Platz vor Borussia Dortmund am Ende der Saison kassierte Lattek allerdings wegen anhaltender Erfolglosigkeit dann schließlich nicht mehr.

Udo Lattek hat einmal über sich gesagt: "Ich bin der Hans Albers der Bundesliga. Der konnte saufen wie ich und auch arbeiten." Zeit seiner Karriere war der Alkohol ein großes Thema. Mal offen angesprochen ("Der Lattek hat in den beiden letzten Wochen seiner Amtszeit mit den Bayern-Spielern mehr Alkohol verkonsumiert als ein Normalsterblicher in vier Jahren", Uli Hoeneß), mal eher im Verborgenen. Lattek meinte dazu: "Ich habe gerne Alkohol getrunken. Ich habe gerne Bier getrunken, auch mal ein Schnäpschen. Aber mir kann keiner vorwerfen, dass ich jemals irgendwo versagt habe, dass ich irgendwo mal nicht beim Training war oder irgendwo nicht topfit war."

Latteks Spieler genehmigten sich damals ebenfalls gerne mal einen. Ihr Trainer wusste sich das zunutze zu machen: "Einmal bin ich reingekommen, am Tag vor dem Spiel, im Trainingslager und die Spieler hatten vergessen, die Tür abzuschließen. Ich mache die Tür auf und bleibe erst einmal stehen. Die Spieler dachten, jetzt gibt's ein riesengroßes Donnerwetter … Ich bin ans Telefon, hab' die Rezeption angerufen - noch vier Weißbier bitte, die Gläser sind alle leer. Da war das Eis gebrochen. Am nächsten Tag sind die gerannt wie die Hasen." Lattek erinnerte sich: "Die hatten oft ein derart schlechtes Gewissen wegen ihres lockeren Lebenswandels, dass sie beim Spiel nur an eines dachten: Enttäuscht ja nicht den Lattek. So einen wie den kriegen wir niemals mehr!" Das Motto war damals nicht selten: "Auslaufen? Die anderen sollen auslaufen, wir gehen jetzt zum Aussaufen!"

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Das war die eine Seite des Udo Lattek. Die andere beschrieb er selbst einmal so: "Der Clown und der Trainer, sie sind eng verbunden und miteinander seelenverwandt. Innen traurig, doch nach außen spielen beide den Kasperl für die Öffentlichkeit, für die Zuschauer. Die Bundesliga ist wie ein Zirkus. Wenn ich da in die Manege muss, dann setze ich meine Maske auf, schminke mich, und wenn das Spiel auf der Kippe steht, dann lache ich den Fotografen in die Linsen. Keiner weiß doch, wie es in Wahrheit in mir aussieht. In mir, diesem armen Hund."

Im Februar 2015 ist Udo Lattek im Alter von 80 Jahren gestorben. Am heutigen 16. Januar wäre einer der erfolgreichsten und unterhaltsamsten Trainer der Bundesligageschichte 90 Jahre alt geworden.

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